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Lernort Bibliothek – zwischen Wunsch und Wirklichkeit, Teil 4 Kunden

Der „ideale Lernort“ aus Kundensicht

Für den Diskussionsprozess war selbstverständlich von großem Interesse, was die Bibliothekskunden mit einem modernen Lernort verbinden. Die Projektkonzeption sah deshalb die Durchführung von zwei Kundenbefragungen vor.

Im März 2009 wurde die Firma Dialego AG – Market Reseach online, Aachen, mit der Durchführung einer qualifizierten Online-Befragung von 50 Personen zum Thema individuelles Lernen beauftragt. Folgende Parameter wurden für die Befragung festgelegt:
• Frauen und Männer ab 16 Jahren sollten befragt werden
• Alle Befragten sollten eine öffentliche Bibliothek innerhalb der letzten 2-3 Jahre besucht haben
• Die Befragten sollten auch Interesse an Sachinformationen (keine reinen Belletristik-Leser) haben.

Außerdem wurden Margret Kruse, Hamburg, und Elke Heinemann, Bremen, mit der Durchführung von Fokusgruppenbefragung in Bergheim, Dormagen und Münster beauftragt, die im Mai 2009 stattfanden.

Beide Expertenteams rieten von der Befragung von Nicht-Nutzern im Zusammenhang mit den Projektzielen ab, da die Kunden Bibliotheken kennen müssten um verwertbare Antworten geben zu können.

Gleich vorweg lässt sich feststellen, dass Bibliotheksnutzer sich die Zukunft der Medien- und Informationswelt noch weniger als Bibliotheksfachleute vorstellen können. Deshalb blieben wirklich visionäre Antworten aus. Dennoch erhielten die Projektbibliotheken wichtige Anre-gungen für ihre weiteren Überlegungen:

Positives Lernen hat viel zu tun mit dem einfachen Zugang, der ständigen Verfügbarkeit und der Breite von verfügbarem Wissen (Google-Effekt). Der Informationserwerb über verschiedene Medien unterscheidet sich je nach der Intensität, mit der man sich über ein Thema informiert. Das Internet ist Teil des ständigen Lernprozesses und hilft bei der schnellen Recherche (schwache bis mittlere Lernintensität). Es fungiert als erste Anlaufstelle, bei der man sich einen Überblick zum Thema verschaffen kann. Bibliotheken und Bücher werden genutzt, um sich über einen Sachverhalt genauer zu unterrichten, aber vor allem bei großem Interesse an einem Thema, das über längere Zeit besteht (mittlere bis starke Lernintensität). Wenn Wissen vertieft werden soll, ist die Seriosität der Quellen von großer Bedeutung. Diese verbinden die Befragten stark mit einer Bibliothek. Die Verlässlichkeit von Internetinformationen wird dagegen durchaus in Frage gestellt. Internet und Buch / Bibliothek ergänzen sich also je nach Intention und Stadium der Wissensaneignung.

Diskussionen sowie Austausch und der Wunsch nach gemeinsamem Lernen sind bei jeder Wissensintention von Bedeutung. Spontane, zufällige Kommunikationsmöglichkeiten, wie sie ein Bibliotheksbesuch ermöglicht, werden allgemein geschätzt.

Die Möglichkeit, sich mit sachkundigem Personal austauschen zu können, war für alle Befragten wichtig. Darüber hinaus werden spezielle Schulungsangebote erwartet.

Selbstverständlich sollte der „Lernort Bibliothek“ jederzeit zugänglich sein. Umfassende Öffnungszeiten und der Zugriff auf die digitale Lernumgebung der Bibliothek von zu Hause aus gehören zum „Lernort Bibliothek“.

Erhellend waren die Erwartungen an die räumliche Gestaltung des Lernortes Bibliothek: Ein ruhiger Arbeitsbereich mit der Möglichkeit zum Rückzug und für konzentriertes Arbeiten ist von zentraler Bedeutung. Zur positiven Lernumgebung gehören aber auch eine behagliche Umgebung, vielfältige Sitzgelegenheiten, Gemütlichkeit und die Möglichkeit, Snacks und Getränke zu sich zu nehmen. Wichtig für ein anregendes Lernklima sind Helligkeit, viel Platz, frische Luft und die Nähe zur Natur. Es sollten Einzel- sowie Gruppenarbeitsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Effiziente, zeitgemäße Arbeitsmittel, PCs und Internetzugänge in ausreichender Zahl sowie aktuelle Medien werden ebenso erwartet wie die Möglichkeit, mit dem eigenen Laptop über ein W-LAN-Netz in der Bibliothek arbeiten zu können.

Aus den Befragungen wurde aber auch deutlich, dass es den „einen, perfekten Lernort“ nicht gibt, sondern dass die individuellen Vorstellungen und Erwartungen sich sehr unterscheiden. Notwendig sind daher flexible Lernumgebungen, die an die jeweiligen individuellen Bedürfnisse in einem vorgegebenen Rahmen angepasst werden können.

Interessant war, dass die Begriffe „Lernen“ und „Lernort“ mit der Bibliothek nicht automatisch in Verbindung gebracht werden. Die Bibliothek wird als „Einladung ohne Verpflichtung“ gesehen. Sie ist ein Ort, an dem man sich bilden und informieren kann (im Gegensatz zu Bildungsanbietern im Bereich der formalen Bildung, die mit „Pauken“ in Verbindung gebracht werden). Da individuelle Lernprozesse erfolgreich verlaufen, wenn sie ohne Zwang und Vorgaben gestaltet werden, ist eine gut ausgestattete Bibliothek eine ideale Anlaufstelle für indi-viduell Lernende.

Der Name „Lernort Bibliothek“ hat die Arbeitsgruppe im zweiten Projektjahr noch einmal beschäftigt. Zu welchen Ergebnissen man kam, wird an dieser Stelle noch nicht bekannt gegeben.

Im nächsten Blogbeitrag soll es um die Beschreibung des künftigen Lernortes Bibliothek gehen. Hierfür haben die Projektbibliotheken Begriffspaare gewählt, die die Leitlinien für die weiteren Schritte bei der Konkretisierung des Lernortes Bibliothek darstellen.

Vorherige Beiträge zum Projekt finden Sie hier:
https://oebib.wordpress.com/2010/10/20/lernort-bibliothek-%e2%80%93-zwischen-wunsch-und-wirklichkeit-teil-1/
https://oebib.wordpress.com/2010/10/27/lernort-bibliothek-%e2%80%93-zwischen-wunsch-und-wirklichkeit-teil-2/
https://oebib.wordpress.com/2010/11/03/lernort-bibliothek-%e2%80%93-zwischen-wunsch-und-wirklichkeit-teil-3/